Wie ich wurde, wer ich bin

Wenn ich es recht bedenke, war das Singen immer schon da. Vor allem anderen.
Vielleicht liegt das daran, dass in meinem Elternhaus Musik eine zentrale Rolle spielte. Aber auch mit dem Theaterspielen kam ich recht früh in Berührung und bezeichnenderweise habe ich auch dabei immer wieder musikalische Aufgaben bekommen. Zum Beispiel war meine erste Rolle als Schauspielerin der Singende Busch mit den roten Beeren in einer Bühnenfassung nach Andersens Schneekönigin, von Irmgard Paulis am Bremer Theater 2001 inszeniert. Genau genommen war ich der joikende Busch…

Das war gleich nach dem Abschluss meines Studiums an der Schule für Schauspiel Hamburg.
Diese Bremer Arbeit führte dann ein Jahr später zur Titelrolle in Mio mein Mio nach Astrid Lindgrens Roman, vom gleichen Team um Irmgard Paulis auf die Bühne gebracht. Das Typische dieser Arbeiten war der Ansatz einer Art ‚Gesamtkunstwerk’ aus Schauspiel, operngleich durchkomponierter Musik und choreographierten Ensembles, so dass auch in dieser Produktion das Singen eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Bei der Entwicklung eines Gesangs für den Trauervogel gemeinsam mit dem Komponisten David Malazonia entdeckte ich noch eine ‚andere Stimme’ als die gewohnte in mir… Diese Arbeiten mit Irmgard Paulis waren für mich vor allem wegen der feinen, nuancierten und tiefgehenden Gestaltung der Figuren, das Ausloten ihrer Vielschichtigkeit prägend.

Harte Kontraste machten diesen meinen Anfang aus. Denn neben den Arbeiten für das Bremer Theater spielte ich 2002 zunächst in der Uraufführung Der böse Onkel des Schweizer Autors, Filmemachers und Regisseurs Urs Odermatt eine der weiblichen Hauptrollen im Theater Reutlingen Die Tonne, bevor ich ein Jahr später in seiner Inszenierung von Arthur Millers Hexenjagd bei den Freilichtspielen Chur die Abigail, die weibliche Hauptrolle, gestaltete. Für die Arbeitsweise Odermatts ist es ja typisch, dass er seine Darsteller in den extremen Ausdruck treibt, über alle Scham- und Schutzgrenzen hinweg. Ebenso typisch ist es für seine Ästhetik, den Umgang mit Sprache regelrecht durchzukomponieren, sie in klangartistischer Weise zu überformen.

Nach soviel expressivem Extrem entstand in mir das Bedürfnis nach einem ersten Liederabend, als Ernte meiner inzwischen jahrelangen, fortgesetzten klassischen Gesangsausbildung bei Sam Thiel. Auf Flügeln der Hoffnung war ein Programm, das ich zum Thema Leben und Tod, genauer zum klassischen Mythos der Persephone, zusammenstellte und im Studio E der Hamburger Laeizhalle aufführte. Etwas später konzertierte ich mit diesem Liederabend auch am Südthüringischen Staatstheater Meiningen, an das ich übrigens 2005 fest engagiert wurde.

Zwischen 2005 und 2012 war ich also Mitglied von Schauspiel-Ensembles. Zunächst bis 2010 in Meinigen, dann am Theater Krefeld-Mönchengladbach, beides Häuser, die als Mehrspartentheater nicht nur über eigene Opernensembles verfügen, sondern auch im Schauspiel Wert auf musikalische Produktionen legten. So wurde ich in Meinigen als Polly in der Dreigroschenoper ans Haus geholt. Auch mein Krefelder Einstand fiel übrigens musikalisch aus: Zwar war meine erste Rolle dort die Desdemona in Shakespeares Othello, aber parallel dazu spielte ich im Projekt des Bühnenbildners und Regisseurs Frank Hänig über Georg Büchners Lenz nicht nur Friederike Brion, sondern sang im Rahmen des Konzepts auch mehrere Lieder aus Franz Schuberts Winterreise.
Vor allem waren dies die Jahre der Ensemble-Arbeit, und so lernte ich in dieser Zeit nicht nur unterschiedliche ‚Theatersprachen’ kennen, sondern über sie auch parallel und im schnellen Wechsel zu verfügen, dabei ein spezielles lokales Publikum anzusprechen und diesen Dialog durch fast tägliche Aufführungen nicht abreißen zu lassen.
Auf diese Weise fühlte ich auch mich selbst von verschiedenen Regiestilen unterschiedlich stark angesprochen, lernte so die eigenen Stärken und Vorlieben kennen und erweiterte immer mehr die eigenen Ausdrucksmöglichkeiten.
Eine besondere Erfahrung war für mich in dieser Hinsicht die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Thirza Bruncken, die 2012 in Krefeld Bunbury von Oscar Wilde inszenierte, meine letzte Premiere dort. Ich spielte die Gwendolen, aber das ist bei ihrer Arbeitsweise eigentlich unwichtig. Denn wenn ihre Produktionen von Kritikern gerne als aberwitzig, grenzüberschreitend, grotesk, konsequent, als Künstlichkeit als Kunst… beschrieben werden, dann ist das das Ergebnis eines zutiefst gemeinsamen kreativen Prozesses, von Improvisationen ohne Schranken für die Phantasie, mit dem die Regisseurin und wir Schauspieler das Thema menschlicher Beziehungen oder Nicht-Beziehungen gemeinsam erkunden/durchspielen/ausreizen/überspannen. Abgesehen davon, dass Brunckens körperbetontes Theater gerne auf musikalischen Assoziationen fußt – also auch bei ihr gesungen wird.
Im Anschluss spielte ich dann 2012/2013 in ihrer Inszenierung von Lessings Emilia Galotti die Gräfin Orsina am Deutschen Nationaltheater Weimar und 2017 führte unsere gute Zusammenarbeit dazu, dass ich bei ihrer ersten Regie für die Oper, Bela Bartóks Herzogs Blaubarts Burg kombiniert mit Rainer Werner Fassbinders Theaterstück Bremer Freiheit in Halle an der Saale, beim Niederreißen der Spartengrenzen zwischen Schauspiel und Oper – einem Skandal! – mit dabei war: Die Opernsänger spielten bei diesem Projekt tatsächlich auch Schauspielrollen und ich agierte nicht allein als Schauspielerin, sondern sang auch Teile der Partie der Judith – so war diese anspruchsvolle Aufgabe im Grunde mein Debut auf der Bühne eines Opernbetriebs mit voll besetztem Orchestergraben!

Natürlich nicht aus dem Stand: Bereits während meiner Zeit in Meiningen hatte ich durch ein Studium des klassischen Gesangs bei Prof. Cheryl Studer in Würzburg begonnen, meine Gesangstechnik weiter auszubauen und durch die zusätzliche Teilnahme an etlichen ihrer Meisterkurse die Eigenheiten und Möglichkeiten meiner Stimme immer besser kennen- und beherrschen gelernt.
All dies führte 2017 zu meiner Entscheidung, meinen künstlerischen Fokus voll und ganz auf den Gesang zu richten.

 

Schon seit 2008 arbeite ich auf mehreren Feldern: Im Rahmen alternativer Opernprojekte trat ich zum Beispiel sowohl als Königin der Nacht wie auch als Papagena in Mozarts Zauberflöte auf, in Bizets Carmen sowohl in der Titelpartie wie auch als Micaëla.
Die Arbeit mit alternativen Opernformaten findet seit 2018 auch in der Zusammenarbeit mit der theateraffinen Bildhauerin Ulrike Edinger-Donat ihre Fortsetzung, die mit ihrem Konzept Opereinmalanders an ungewöhnlichen Aufführungsorten Begegnungen von Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund arrangiert und mit ihnen die Liebe für Oper und das Geschichtenerzählen teilt: Opernmusik wird mit Literatur und Dramenstoffen verflochten, erfahrene Profis arbeiten mit engagiertem Nachwuchs, Musiker verschiedener Richtungen mit Schauspielern, Tänzern und Bildenden Künstlern. Opernliebhaber erleben die Abende gemeinsam mit Nachbarn, die niemals in ein Opernhaus gehen würden – aber durchaus in Treppenhäuser, stillgelegte Kaufhäuser, ehemalige Wasserwerke, in Gärten und Gewächshäuser…

Seit 2015 bin ich auch immer wieder an Projekten des Filmkomponisten und Arrangeurs George Kochbeck beteiligt, in dessen Crossover-Konzepten noch viele weitere Farben und Möglichkeiten meiner Stimme aufscheinen, indem ich dabei mit Musikern unterschiedlicher Genres, auch aus der Populärmusik und dem Jazz zusammenarbeite. Bei einem Konzert in Erinnerung an das legendäre Woodstock-Festival 1969 kam dann auch wieder meine Freude an der Vokalartistik zum Zuge, als ich Jimi Hendrix legendäres Gitarren-Solo Starspangled Banner für die menschliche Stimme interpretierte…

Natürlich liegen mir in besonderer Weise meine thematischen Liederabende am Herzen: Der Welt abhanden gekommen ist dem Liedschaffen der komponierenden Ehepaare Clara und Robert Schumann sowie Alma und Gustav Mahler gewidmet und erzählt entlang all ihrer großartigen Liedkompositionen von fördernden wie herausfordernden Musikerehen.
Lenz auf Winterreise verschränkt wiederum Schuberts Liederzyklus Die Winterreise mit gelesenen Passagen aus Georg Büchners diagnostischer Erzählung Lenz.

2018 machte mich dann der Musik-Journalist Ulrich Kahmann mit der Pianistin Masha Dimitrieva und dem Werk des ebenso aufregenden wie immer noch weitgehend unentdeckten Komponisten Gordon Sherwood (1929-2013) bekannt, das sie als seine Erbwalterin betreut. Speziell Sherwoods Liedschaffen ist ebenso einzigartig wie es für die Hohe Stimme herausfordernd sein soll, für die er komponierte, da er nicht nur nach Belieben über ganz unterschiedliche musikalische Ausdrucksmittel verfügt, sondern sie je nach Thema auch amalgamiert: Blues kann auf Koloraturen treffen oder ein romantischer Gestus auf orientalische Färbungen. Da er die vertonte Lyrik ebenfalls selbst schuf, sind seine Lieder – zu unfassbar unterschiedlichen Inhalten übrigens – ganz aus einem Guss.
Masha Dimitrieva und ich spielen seit 2019 das gesamte Lied-Œuvre Sherwoods auf CD bei Sonus Eterna ein und machen es durch gemeinsame Konzerte dem Publikum bekannt. Wie es weitergeht? Schauen Sie selbst, was geplant ist.